Freiherr-vom-Stein-Gymnasium – Lycée Saint-Michel de Picpus
“Machten wir uns heute eine Bilanz unseres geistigen Besitzes auf, so würde sich herausstellen, dass das meiste davon nicht unserem jeweiligen Vaterland , sondern dem gemeinsamen europäischen Fundus entstammt, in uns allen überwiegt der Europäer bei weitem den Deutschen, Spanier, Franzosen. Vier Fünftel unserer inneren Habe sind europäisches Gemeingut.” José Ortega y Gasset
Dass dieses “Gemeingut” am Vorabend der Wahl zum Europaparlament auf dem Prüfstand steht, hoben sowohl unser Schulleiter, Norbert Verch, und die Schulleiterin des Lycée Saint-Michel de Picpus, Marie-Astrid Courtoux-Escolle, als auch der Bezirksbürgermeister, Helmut Kleebank, sowie der Stein-Elternvertreter, Dr. Axel Schwope, beim Festakt zur 35-jährigen Schulpartnerschaft der beiden Gymnasien aus Paris und Berlin hervor. Doch dazu später.
Ursprünglich war der Festakt zum Jubiläum des “Europa im Kleinen” im Bürgersaal des Spandauer Rathauses vorgesehen gewesen, aber just das “Europa im Großen” machte dieser Planung einen Strich durch die Rechnung – der Bürgersaal war für die Vorbereitungen zur Europawahl schon belegt. Helmut Kleebank, wusste den “Umzug” vom Bürgersaal in die Stein-Aula mit Humor zu kommentieren: “Ich besuche halt gern unsere Schulen.”
Der Fachbereich Französisch hatte – natürlich – ein kleines, aber feines Rahmenprogramm gestrickt: Lora Vangelova aus dem 2. Semester interpretierte – wortreich unterstützt von den Schülerinnen und Schülern der 7e – das Flüchtlingsschicksal auf dem Weg nach Europa Mercy von Madame Monsieur. Emily Schwarz aus der 10b und Tim Borchert aus der 10a rundeten, am Flügel begleitet von Tim Widmoser, den Festakt mit Louanes unverbrüchlichem Liebesgeständnis Je vais t’aimer ab. Auf dem sonnenüberfluteten Schulhof gab es Zeit für Häppchen, Getränke, Gespräche und das obligatorische Gruppenfoto.
Zurück zu Europa, zurück zur deutsch-französischen Beziehung, zurück zum Schulleiter, Norbert Verch. Er hob auf die „Erbfeindschaft“ – begründet in einem überzogenen Nationalismus – zwischen beiden Völkern im 19. und 20. Jahrhundert ab, die den Menschen in Europa „unendliches Leid“ zugefügt hätte und die nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich in die gemeinsame Sache “Europa“ mündete.
„Was tun gegen Nationalismus?“, Verchs Frage. Eine mögliche Antwort gäben das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium und das Lycée Saint-Michel de Picpus seit nunmehr 35 Jahren – kaum etwas sei friedenserhaltender als der direkte Kontakt junger Menschen, und nicht nur dieser, schließlich wären in den mittlerweile 70 Austauschbegegnungen sowohl die gastgebenden Eltern als auch die organisierenden Lehrerinnen und Lehrer am „generationsübergreifenden Projekt“ beteiligt gewesen.
Der Schüleraustausch stelle für das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium einen „schulischen Grundpfeiler“ dar, Verchs Botschaft an die Gäste aus Paris: „ Sie sind für mich einer der engsten und wichtigsten Partner.“ Und diesen Austausch könne man weiter denken: So lud er die jungen französischen Gäste und auch zukünftige französische Schülergenerationen zu individuellen Besuchen oder Kleingruppenaufenthalten ans Stein-Gymnasium außerhalb des offiziellen Austauschprogramms ein. “Ohne kulturelle Neugierde ist keine Bindung von Dauer möglich, also leben wir unsere kulturelle Neugierde. Warum soll es nicht das 50. Austausch-Jubiläum geben – und dann vielleicht im Rathaus Spandau!”
Den europäischen Gedanken der Friedenssicherung als Faden griff der Spandauer Bürgermeister Helmut Kleebank in seiner kurzen Ansprache auf und ergänzte ihn um den Blick ins Portemonnaie: “Niemand von uns hat – zum Glück – einen Krieg selbst erlebt. Wir wissen aber, dass es an vielen Orten in der Welt Krieg gibt, mit all dem Leid, das damit verbunden ist. Es ist für mich die erste wichtige Botschaft Europas: Die Gräben können noch so tief sein, die Feindschaft kann noch so groß sein – es ist möglich, das zu überwinden, und es ist möglich, auf Jahrzehnte Frieden zu schaffen. Es gibt eine zweite Botschaft, wie ich finde, und die lautet: Wenn wir zusammenarbeiten, wenn wir Konkurrenz als etwas Gesundes betrachten, das in gleichen und fairen Regeln miteinander funktionieren kann, dann ist es kein Kampf gegeneinander, sondern es ist zum Wohle aller, weil wir dann den Wohlstand für alle vermehren.”
Als der Austausch für die Freiherr-vom-Stein-Oberschule (sic!) 1984 noch unter der Schulleitung von Dr. Wolfgang Bethge begann, hatte sich niemand vorstellen können, dass einmal ein 35-jähriges Jubiläum anstehen würde. Die West-Berliner Insellage und das metallene Pochen des Kalten Krieges, der immer noch ein heißer zu werden drohte, ließen den Blick auf einen weit gespannten Horizont nicht zu. Man rang um Kontakte in einer Welt, der das Tauwetter noch bevorstand. An ein kleines, aber bedeutendes Detail deutsch-französischen Tauwetters erinnerte die Schulleiterin des Lycée Saint-Michel de Picpus in ihren Ausführungen.
“Es ist jetzt 35 Jahre her, 1984. François Mitterand war Staatspräsident und Helmut Kohl Bundeskanzler von Westdeutschland. Wie heißt es so schön in einem Lied des erst kürzlich verstorbenen Charles Aznavour: Es ist eine Zeit, die die unter Zwanzigjährigen nicht mehr kennen können, aber es war ein Zeitpunkt, zu dem die Europawahlen in Westdeutschland stattgefunden haben und ganz sicher ein Zeitpunkt, der schließlich zu dem berühmten Bild des … Händchen haltend zwischen dem Staatspräsidenten Mitterand und dem Bundeskanzler Helmut Kohl geführt haben. Eine sehr schöne, bedeutsame und versöhnliche Geste.”
Die deutsch-französische Versöhnung als eine der wesentlichen Voraussetzungen eines gemeinsamen Europas, das, freundschaftlich und solidarisch verbunden, Menschen zusammenführe – so auch in diesem Austausch, in dem Sprache, Alltag, Kultur, Architektur und Kunst vermittelt würden, was Courtoux-Escolle vor Ihren Danksagungen an Eltern und Lehrkörper in Berlin und Paris in ihr Fazit goss: “Unser Austausch trägt auch dazu bei, Bürger Europas von morgen zu werden.”
Der Elternvertreter am Stein-Gymnasium, Dr. Axel Schwope, betrat in seinem Beitrag zu dem gelungenen Abend die historischen Pfade wie gewohnt amüsant, aufgeräumt und mit einem Augenzwinkern, das scheinbar nichts Politisches wollte, aber doch zeigte, dass das Politische ganz dicht im Privaten verwoben ist …
”So werde ich also ein sehr persönlich-gefärbtes kleines Potpourri von Gedankensplittern zu Paris einwerfen, die, obwohl klein und persönlich, zugegebenermaßen am Ende einen Blick auf Größeres erlauben … excusez-moi, je ne parle pas français …” Familienurlaube führten nicht ins benachbarte Frankreich … “es gab Sprachbarrieren” … aber dann mit Freund und eigenem Motorrad 3.000 km durch Frankreich. Zunächst Paris: “Wir wollten eine Stadt sehen, eine richtige Stadt. Wir dachten uns, es könne doch noch mehr geben als Europa-Center, Funkturm und Zentralflughafen Tempelhof … Uns gingen die Augen über ob der Großzügigkeit der Straßen, der Boulevards und der Schönheit der Gebäude …” Aber wieder gab es Sprachbarrieren … excusez-moi …
… und trotzdem sollte sich der Student Axel Schwope einige Jahre später in “der Stadt der Liebe” auf dem Montmartre in Sacré-Cœur verloben – war das 1984? Ihre Tochter – eins von vier gemeinsamen Kindern – wurde bei einem Schüleraustausch von ihrem Französischlehrer motiviert, nach dem Abitur als Au-pair-Mädchen nach Frankreich zu gehen und schließlich ein Französisch-Studium für das Lehramt aufzunehmen. Der stolze Vater: “Und, keine Frage – sie wird die beste Französischlehrerin.”
Sprachen einen ein Land, Sprachen teilen den Kontinent. Sprachen erlernen und reisen bildet nicht nur – es eint auch Europa. Leider – oder zum Glück – verbindet auch die Abwehr gegen den Terror: je suis Charlie, je suis Tunis, je suis Bruxelles, je suis Berlin – “womit unsere beiden Städte wieder auf ganz andere Weise miteinander verbunden werden: Wir sitzen im selben Boot! …
… und deshalb ein direktes Wort an Sie, liebe Lehrerinnen und Lehrer, die den Schüleraustausch betreiben: Lassen Sie nicht nach! Diese Begegnungen sind wichtig, um zu erfahren, dass die Anderen schon anders sind, ja, aber – dass wir im selben Boot sitzen. Sie weiten mit Ihrer Arbeit den Horizont unserer Kinder.”
Redaktion & Beitrag: Frank Selig
Fotos: Patrick Neumann
28. Mai 2019
Was die deutsch-französische Freundschaft betrifft, so könnte man noch einmal ins Regal der Wiederholungen greifen …