Archiv für Februar, 2020

“All the world is a stage“ – das White Horse Theatre am Stein

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Am 14. Februar 2020 gastierte das White Horse Theatre mit drei englischsprachigen Theaterstücken in der Aula des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums. Zwei Teams aus Muttersprachler*innen führten in beeindruckender Weise The Empty Chair, Two Gentlemen und The Merchant of Venice für fast 500 Schüler*innen auf.
 
Die 5a, 6a und drei siebte Klassen schauten sich The Empty Chair an. Robbies Vater hat die Familie verlassen und jetzt sitzen Robbie und seine Mutter allein zuhause – mit einem leeren Stuhl. Plötzlich landet ein Raumschiff im Garten und ein fremder Mann namens Jared erscheint im Haus. Kommt er tatsächlich von einem anderen Planeten? Robbies Mutter ist glücklich und bald schon wird der Fremde zum Teil der Familie. Doch Robbie bleibt misstrauisch. Es vergeht ein ganzes Jahr, bis Robbie Jared vertraut. Das Theaterstück bietet Schüler*innen lustige Unterhaltung und spricht gleichzeitig ein wichtiges Thema an: Wie kommt ein Kind mit einer neuen Familiensituation und einem möglichen neuen Stiefvater zurecht?
 
Einige achte und neunte Klassen schauten sich Two Gentlemen an. Piers und Vincent sind seit frühester Kindheit befreundet. Als die zwei aufs Internat kommen, verlieben sich beide in Silvia, die Tochter des Schuldirektors. Wird ihre Freundschaft diesen Konflikt überstehen? Und was wird Julia, die Freundin von Piers, zu seinem gebrochenen Treueversprechen sagen? Dieses unterhaltsame Stück ist eine moderne Adaption der Shakespeare-Komödie Zwei Edelmänner von Verona und handelt von den Liebes- und Freundschaftswirren im Teenager-Alter.
 
Alle Grund- und Leistungskurse Englisch schauten sich William Shakespeares The Merchant of Venice an. Das berühmte Theaterstück handelt von Liebe, zweifelhaften Geschäften und Antisemitismus. Während Shakespeares Themen hoch aktuell sind, stellt die leicht vereinfachte Originalsprache eine Herausforderung dar. Die Begeisterung vieler Schüler*innen war in ihren Gesichtern zu sehen. Im Anschluss an die Aufführungen stellten  zahlreiche Schüler*innen Fragen auf Englisch an die Schauspieler*innen über das Stück oder ihren Beruf.
 
Die Möglichkeit, den Schulalltag einmal zu unterbrechen und ein englischsprachiges Theaterstück auf der Bühne zu erleben, empfanden alle Zuschauer*innen – Schüler*innen und Lehrer*innen – als eine große Bereicherung.
 
 
Some Impressions of The Merchant of Venice
 
 

 
 

 
 

I am a Jew. Hath not a Jew eyes? Hath not a Jew hands, organs, dimensions, senses, affections, passions?…If you prick us, do we not bleed?If you tickle us, do we not laugh? If you poison us, do we not die? And if you wrong us, shall we not revenge?

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 
Informationen zu den Theaterstücken: White Horse Theatre
 
Beitrag: Annemarie Stegemann
Fotos: Patrick Neumann
21. Februar 2020
 
 

Steinsportler im Gespräch mit Hajo Seppelt

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Doping war das große Tabu im Leistungssport – nicht etwa, weil es unter Strafe stand, nein, weil kaum jemand darüber sprach, nicht darüber sprechen mochte, offensichtlich auch nicht darüber sprechen sollte. Dass die Beteiligten – Sportler, Ärzte, Veranstalter, Sponsoren, Journalisten – schwiegen, war verständlich – mit jeder Rekordmeldung nahm ihr Bekanntheitsgrad zu, die Einnahmen sprudelten. Aber auch das Publikum schien sich nicht so gern mit – durchaus vermuteten – unangenehmen  Wahrheiten auseinandersetzen zu wollen. Siege und Rekorde sind einfach sexy und wer das Glück hat, ihnen beizuwohnen, fühlt sich  … far beyond of this.
 
Hierzulande entbrannte die Doping-Diskussion nach Veröffentlichung der Recherchen von Brigitte Berendonk und ihrem Mann Werner Franke über die Dopingpraxis in der ehemaligen DDR. Das hatte man schon immer gewusst  – “die da drüben … war ja klar!” Gar nicht mehr so gern goutierte man die eigene Wahrheit im Westteil der Republik. Auch die Bundesrepublik hatte und hat eine Doping-Vergangenheit. Der deutsch-deutsche sportliche Vereinigungsprozess in den 90-er und 00-er Jahren geriet zu einem Kampffeld, in dem für den unbeteiligten Zuschauer eine eindeutige Täter-Opfer-Zuweisung zunehmend uneindeutig geriet.
 
Ende der 1990-er Jahre setzten harte Doping-Vermutungen, folgend im nächsten “Jahrfünfzehnt” die Überführungen im Radsport ein – Marco Pantani, Bjarne Riis, Lance Armstrong, Jan Ullrich, Alberto Contador seien hier stellvertretend als Creme der Prominenz für viele andere genannt. Es schloss sich das “schwarze” Radsportjahr 2007 an, in welchem die Tour de France nur mit äußerster Chuzpe seitens der Organisatoren über die Ziellinie auf dem Champs-Élysées geschubst werden konnte. Nicht über die Ziellinie fuhren in jenem Jahr die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten ARD und ZDF. Nach Bekanntgabe eines – weiteren – Dopingfalls im Team T-Mobile zogen sich die beiden Sender aus der Berichterstattung zurück.
 
Es folgten scheinbare Jahre einer gewissen Erneuerung; Läuterung schien in den Spitzensport eingezogen zu sein. Aber im Jahr 2007 geschah noch etwas für den internationalen Spitzensport Entscheidendes: Die ARD richtete beim Westdeutschen Rundfunk in Köln eine eigene Doping-Redaktion mit weitgehenden Freiheiten für die Journalisten ein. Mit an Bord: Hajo Seppelt, dessen mutige Hintergrund-Recherchen, Fernsehen- und Radio-Dokumentationen vornehmlich über systematisches Staatsdoping in Russland, die Welt des Spitzensports und deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit nachhaltig erschüttern sollten.
 
Andreas Völzmann war es aufgrund seiner mannifaltigen Kontakte tatsächlich gelungen, den vielbeschäftigten Journalisten zum 14. Februar zu einem Gespräch mit Schülern und Schülerinnen zweier Sportkurse an unsere Schule zu locken. Indes, Hajo Seppelt ging es nicht allein um das Thema “Doping”; seit geraumer Zeit schon besucht er im Rahmen einer Initiative der Süddeutschen Zeitung und weiterer Medieneinrichtungen “Journalismus macht Schule” Bildungsinstitute in Berlin-Brandenburg, um jungen Menschen einerseits den Wert seriös recherchierter Berichterstattung am Beispiel des Anti-Doping-Kampfs nahezubringen, sicherlich aber auch, einen Einblick in das interessante Berufsbild eines  Journalisten zu vermitteln.
 
 

Pillen, Wässerchen und mittendrin das 2019 bei ECON erschienene Buch “Feinde des Sports” von den Autoren Hajo Seppelt und Wigbert Löer


 
 
Nach der obligatorischen Begrüßung und Vorstellung durch Andreas Völzmann richtete der prominente Gast zunächst einen Appell an die Jugend im Raum: „Seid froh, dass ihr in diesem Land lebt!“ Ein Hinweis auf den Wohlstand in unserem Land? Natürlich – auch. Vielmehr ging es Hajo Seppelt dabei aber mit Blick auf das Reizwort „Lügenpresse“ um das hohe Gut der in der Bundesrepublik gewährleisteten Presse- und Meinungsfreiheit, der unabdingbaren Grundfeste unabhängiger journalistischer Berichterstattung, damit auch dem Fundament seiner eigenen investigativen Recherchen und vielfältigen Publikationen. Dann aber hatte das Publikum das Wort.
 
“Herr Seppelt, warum haben Sie sich ausgerechnet für den Sport-Journalismus entschieden?”
 
Die Miene des äußerst sachlich formulierenden  Journalisten hellte sich an diesem frühen Februarmorgen nach der Begrüßung schnell auf. Angefangen hatte er als Kinderreporter beim damalig sehr beliebten Rundfunksender RIAS – “Kennt hier noch einer den RIAS?”- Aufgrund mangelnden Talents seinerseits versandete dieser Karrierestrang recht bald.
 
Nach der Schule packte ihn bei dem Gedanken an die anstehende Berufswahl eine große Orientierungslosigkeit; er entschied sich für ein Sport-/Französich-Studium auf Lehramt an der FU Berlin, wechselte irgendwann von Französisch auf Politik und genoss die Freiheiten, die ein derartiges Studium an der Freien Universität damals noch bot. Die Orientierungslosigkeit sollte sich nicht verflüchtigen, die Alternativen, die ihm noch einfielen – “man soll es kaum glauben” Schauspieler oder Priester – wurden nicht Realität, eine Lehrerlaufbahn ebensowenig.  Denn schon bei seinem ersten Praktikum an einer Grundschule erkannte er: Das wird nichts! In einer Stunde in einer 4. Klasse, als ihm schließlich Mikadostäbe um die Ohren flitzten, wurde ihm klar: Es gibt hier ein Autoritätsproblem …
 
Seine eigentliche Journalistenlaufbahn begann Seppelt als freier Mitarbeiter bei der dpa und beim Tagesspiegel, ergatterte dann 1985  beim Vorgänger des heutigen Senders Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb), dem Sender Freies Berlin (SFB) an der Masurenallee, eine Praktikumsstelle, die zunächst in eine Tätigkeit als Freelancer und schließlich Festanstellung mündete. Er berichtete in Radio und Fernsehen über fast alle Sportarten, nur Fußball machten andere.
 
 

Andreas Völzmann und Hajo Seppelt – zwei ehemalige Sportstudenten


 
 
“Gab es einen Moment in Ihrem Leben, wo Sie es bereut haben, sich für den Journalismus entschieden zu haben?”
 
“Also inhaltlich gab es nie eine Reue oder so, es war einfach manchmal … zu viel Arbeit. Manchmal ist es schon belastend, einfach nur quantitativ belastend.” Zu den Anfängen: “Allein diese Aufregung, als Reporter irgendwo sein zu dürfen, fand ich damals super … ich berichte von Ereignissen, ich komme rum – das war schon aufregend. Dann ist man in diesem Moment auch mit dem ganzen Handwerk beschäftigt. Also, ich habe über Inhalte damals nicht so richtig nachgedacht, sondern es ging erst einmal darum, das Handwerk zu beherrschen, also erstmal ‘geradeaus zu sprechen’, wie wir im Journalismus sagen, auch keine Angst zu haben, zu texten, Nachrichten zu erkennen, solche Sachen, die Basics für diesen Berufsstand.”
 
“An investigativen Journalismus habe ich damals nicht eine Sekunde gedacht. Ich weiß noch, wie ich meine allererste Hörfunkreportage machen durfte, noch als Praktikant, es war bei einem Squash-Turnier in Marienfelde … ein Freitagabend … euch wird es jetzt nichts mehr sagen, aber es gab damals bekannte Journalisten im SFB, Moderatoren, Stanley Schmidt war einer von denen, den ich dann auch lange als Kollegen hatte, und da wurde ich per Telefon gerufen von diesem Moderator, und dann redete ich, weil ich so aufgeregt war, ohne Punkt und Komma, ganz schnell hintereinander weg, und Stanley moderierte, der im Gegensatz zu mir eine sehr ruhige Art hatte: ‘D a s  w a r  H a n s – J o a c h i m  S e p p e l t   v o m  S q u a s h – T u r n i e r .  D a  w a r  d e r  j u n g e  K o l l e g e  a b e r  g a n z  s c h ö n  s c h n e l l …'”
 
“Es ging um Handwerk. Das muss ich auch anerkennen, im Journalismus, im Sport im Fernsehen, im Radio … was man unglaublich lernt, im Gegensatz zu anderen inhaltlichen Feldern, im Radio und im Fernsehen ist die Live-Berichterstattung. Du musst spontan und schnell sein, du musst in der Lage sein zu berichten, was da gerade passiert, dem Zuschauer, vor allem dem Hörer am Radio, das näher bringen, schildern, was der Zuschauer im Stadion, aber der Hörer am Radio nicht sieht. Das ist ein Handwerk, das Sportreporter natürlich sehr gut lernen können in dem Gewerbe, aber es verführt natürlich auch zu Oberflächlichkeit.”
 
 
 

 
 
Über Oberflächlichkeit und kleine Momente
 
Oberflächlichkeit. Nach wenigen Jahren begann Seppelt die reine Sportberichterstattung zu langweilen – zu viel Nacherzählung, zu viel Oberfläche … “zumal es offensichtlich Dinge gab, über die nicht geredet wurde.” Schon Ende der 80-er Jahre begann er, über Doping zu berichten, war allerdings zunächst nicht investigativ tätig, es war eher “ein reagierendes Berichten” auf Ereignisse. In den 90-er Jahren folgten Veröffentlichungen über Doping im DDR-Sport. “Der erste konkrete Fall, an den ich mich jetzt erinnere, war, als wir einen Doping-Arzt aufgedeckt haben, das war erst 2006. Das war einer der Ärzte, die mit dem spanischen Doping-Doktor Fuentes zusammengearbeitet haben. Das war ein deutscher Arzt, der damals in Thüringen, glaube ich, zuhause war.”
 
Das Glück, der Zufall – der kleine Moment. Schwimm-Weltmeisterschaft in Schweden 1997, über die Seppelt für die ARD berichtete. Die blonde Frau auf der Pressetribüne, an deren Blick er sich verfing, die er unbedingt ansprechen musste. Sie war – natürlich – Journalistin, aber das Besondere war ihr Interesse am DDR-Doping, an dem er gerade dran war. “Dann haben wir zusammengeschmissen – sie kam aus Paris, ich aus Berlin, und wir haben einen großen Film über Kinder-Doping in der DDR gemacht. Dieser führte wiederum dazu, dass ich mich noch intensiver mit dem Thema beschäftigte und schließlich auch ein Buch dazu herausgab. –  Ja, das passierte eben durch diesen – ‘kleinen Moment'”.
 
 

 
 
Zwei Whistleblower – Kontaktanbahnung zu Julia Stepanowa und Witali Stepanow
 
Ein weiterer kleiner Moment. “Es fing an, ich glaube im Jahre 2010/2011, als ich plötzlich eine Mail in meinem Postfach hatte, von einem österreichischem Wissenschaftler, der sich empörte darüber, dass er Zeuge war des Vortrages eines russischen Forschers aus Moskau, der in Wien, glaube ich, eine Forschung anpries, die er selbst durchgeführt hatte zu einem Dopingmittel – später hat es den Namen “Full Size ngf” bekommen -, das nicht nachweisbar war, aber erheblich muskelaufbauende Effekte hatte. Er pries das an, eigentlich für die medizinische Forschung gedacht, aber man kann es halt auch als Dopingmittel verwenden … ‘und das können Sie auch gleich mitnehmen und ihrer Ehefrau mitgeben und zusehen, wie ihr die Muskeln von allein wachsen’. Der österreichische Wissenschaftler fand das unglaublich, wie könne ein Forscher, der Medizinwissenschaft betreibt, plötzlich so ein Zeug anbieten. Darauf wies er mich hin, ich begann zu recherchieren, wir haben diesen Wissenschaftler dann auch mal gedreht bei einem Kongress in Deutschland, aber haben die Sache nicht weiter verfolgt.
 
Es ist leider häufig so in unserem Beruf, dass durch aktuelle Entwicklungen Dinge wieder in Vergessenheit geraten, und wir uns dann doch nicht damit beschäftigen. Es fiel mir aber drei Jahre später wieder ein, als die Spiele von Sotschi unmittelbar bevorstanden. Ich dachte, man müsste diesen Wissenschaftler eigentlich mal kontaktieren. Wenn er damals das Zeug so freimütig an andere  ausgeben wollte – würde er das jetzt auch mit Sportlern tun, die an Olympia teilnehmen?” Seppelt nahm die Rolle eines Athletenmanagers an und verabredete ein Treffen in Moskau. Da er in Deutschland für seine Dopingermittlungen schon recht bekannt war, entschied er sich für eine Camouflage und ließ sich von einer Maskenbildnerin einen Theaterbart mitgeben, den er für die Verabredung in einer Kneipe in Moskau auch anlegte. Zur späteren Beweisführung nahm Seppelt das Treffen mit versteckter Kamera auf. Der Wissenschaftler machte ihm freimütig eindeutige Angebote, und sie verabredeten ein weiteres Treffen für den übernächsten Tag. Den Tag nach der Offerte in der Kneipe nutzte der verdeckte Ermittler für ein schon zuvor verabredetes Treffen mit dem damaligen Leiter des Anti-Doping-Zentrums, Grigori Rodtschenkow, in Sotschi. Das Problem: Der falsche Bart löste sich immer wieder, sodass Seppelt ständig mit Hand vor dem Gesicht die Flüge und auch Gespräche bestreiten musste.
 
Am entscheidenden Tag fand das Treffen in einem Auto statt. Der Wissenschaftler reichte ihm vom Fahrersitz aus eine Probe “von dem Zeug” mit den Worten: “Wen Sie damit dopen wollen, ist mir völlig egal, können Sie ja mal testen lassen; Kostenpunkt $ 100.000,-, wenn Sie das Zeug vor den Spielen kaufen wollen.” Wieder lief die versteckte Kamera. Bei der Untersuchung in Deutschland stellte sich heraus, dass es sich tatsächlich um die angebotene Substanz mit der entsprechenden Wirkung handelte und für das es – bis dato – kein Nachweisverfahren gab. In Fernsehbeiträgen gelangten die Informationen an die Öffentlichkeit, die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) wurde auf Seppelt aufmerksam und vermittelte, da sie selbst aus juristischen Gründen nicht in Russland tätig werden durfte, den Kontakt zu den Whistleblowern, den beiden Stepanows.
 
“Nur dadurch quasi, durch den Kontakt, den ich mit den Beiden hatte, ist dann alles in Bewegung gekommen. Das hat die Entwicklungen der letzten Jahre ausgelöst. Man könnte jetzt also sagen, hätte es keinen österreichischen Wissenschaftler gegeben, vielleicht hätten wir hier nicht das Thema zu besprechen, das wir heute besprechen. Und interessanterweise, wenn ich dieses vielleicht noch sagen darf, als kleines Aperçu, als Zusatzbemerkung, zwei Jahre später – 2016 – als dann dieser Dopingskandal riesengroß war, und ich längst in Russland für viele als Staatsfeind galt, berichteten dann russische Medien darüber, dass ich 2014 in einem Flugzeug zwischen Moskau und Sotschi gesehen worden sei – mit einem falschen Bart. Da dachte ich: ‘Guck mal einer an, ich bin damals schon beobachtet worden!'”
 
Noch ein Aperçu: Grigori Rodtschenkow wurde später zum wichtigsten Whistleblower in der russischen Doping-Affäre nach den Spielen in Sotschi. Im Jahr 2016 trat er die Flucht in die USA an und lebt dort heute an einem unbekannten Ort.
 
 

 
 
“Müssen Sie nicht manchmal um ihr Leben fürchten?”
 
“Also, auf mich passt schon jemand auf, wenn es sein muss, nicht immer, aber häufig. Natürlich gab es Leute, die nicht so gut fanden, was wir oder ich tue, und haben mich dann irgendwie im Internet bedroht, da wurden manchmal auch unverhüllt Bilder oder Sätze publiziert. Ich kann es einfach nicht kommentieren; einfach nur, das aber ist vielleicht auch eine naive Vorstellung, weil ich da einfach keinen Hintergrund habe. Bisher sind Russen meistens gegen Verräter aus den eigenen Reihen vorgegangen. Zumindest ist mir nicht bekannt, dass ausländische Journalisten schon Zielscheibe von russischer offizieller politischer Verfolgung waren. Aber, ich kann es eigentlich nicht einschätzen. Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass es manchmal gar nicht so sehr um inszenierte oder von oben angeordnete Aggressionen geht, sondern manchmal ist es einfach so, dass Oma Klawuttke oder Opa Kasuppke auf der Straße sauer auf mich sind und deswegen man manchmal auch befürchten muss, dass Leute einen ungesteuert erkennen und dann einfach mal im schlimmsten Fall gleich zuschlagen. Das kann man natürlich auch nicht ausschließen. Deswegen gebe ich auch zu, ein großes Interesse, momentan nach Russland zu fahren, habe ich nicht. Allerdings bin ich auch nicht sicher, ob ich überhaupt reinkommen würde, denn ich hatte ja 2018 bei der Fußball-WM die Situation, dass man mir erst das Visum verweigert hat, dann hat man es wieder genehmigt, aber nur für die Zeit der Fußballspiele. Ich habe dann nochmal im Herbst 2018 – oder 2019? – versucht reinzukommen, aber dann kam irgendwann der Pass ohne Visum von der zuständigen Stelle zurück, das heißt: keine Einreiseerlaubnis! Möglicherweise gilt das immer noch.”
 
 

 
 
Doping – ein System von Abhängigkeiten und Vertuschung
 
Schon bei den Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang erhielt – auch aufgrund der Recherchen von Hajo Seppelt und der ARD – das russische Team keine Starterlaubnis. Die Athleten hatten lediglich die Möglichkeit, unter neutraler Flagge anzutreten. Diese Sanktion wurde vom Exekutivkomitee der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada im Dezember 2019 um vier Jahre bis 2023 für alle Weltmeisterschaften, Paralympischen und Olympischen Spiele erweitert. Zudem darf Russland bis 2023 weder große sportliche Events austragen noch sich für solche qualifizieren. Es ist klar, dass Hajo Seppelt in Russland als persona non grata – unerwünschte Person – gilt. “Wenn ich in Deutschland bekannt bin, würde ich behaupten, Russland ist das Land, wo ich am zweitmeisten bekannt bin.” Gegen ihn werde öffentlich polemisiert, selbst eine diskreditierende “Dokumentation” über ihn und seine Arbeit wäre im russischen Staatsfernsehen schon ausgestrahlt worden. Mittlerweile habe auch die ARD Probleme, Drehgenehmigungen in Russland zu erhalten.
 
Dabei wäre das Quatsch, so Seppelt. Der Kritikervorwurf, sein Team sei auf einem Auge blind, träfe mitnichten zu. Seine Recherchen seien grenzenlos. Wo gedopt wird, müsse ermittelt werden, und sei es in Deutschland selbst. Ein prominenter Fall sei die Operation “Aderlass”, die durch den österreichischen Skilangläufer Johannes Dürr aufgrund der ARD-Dokumentation “Die Gier nach Gold” im Januar 2019 in Gang gesetzt wurde. Die staatsanwaltlichen Ermittlungen darin laufen noch in mehreren Ländern. Betroffen sind verschiedene Sportarten und Mediziner, u.a. auch ein Thüringer Arzt.
 
“Doping ist automatisch immer Lüge, denn ohne Lüge funktioniert Doping nicht; man muss immer sagen, das stimme ja nicht. Und – es ist ein System der Vertuschung drumherum, an dem viele Leute beteiligt sind und davon profitieren.” Bei Doping handele es sich um einen Kreislauf des ökonomischen Nutzens, solange Doping unentdeckt bleibt. Doping sorge in den Kraft- und Ausdauersportarten für Leistungssteigerung. Zum gegenseitigen “Nutzen” würden Athleten, Manager, Ärzte, Physiotherapeuten, Sportveranstalter, Sportverbände, Sponsoren, Politiker von der Leistungssteigerung profitieren. Und dann kämen Spaßbremsen – “so wie wir” – und decken da was auf. “So wird aus einer Win-win- eine Lose-lose-Situation.”
 
Die Veranstaltung ist aus. Fleißige Hände bewegen Tische und Stühle, verwandeln den Hörsaal wieder in einen Klassenraum. Was bleibt? Die kleine Schulgemeinschaft, der es vergönnt war, diesen Vormittag erleben zu dürfen, dankt herzlichst Hajo Seppelt für die geteilte Zeit und seine beharrlich erbohrten klaren Worte sowie Andreas Völzmann für die Organisation dieser gelungenen Veranstaltung. Hajo Seppelt empfiehlt zum Thema die ARD-Dokumentation “Die Gier nach Gold” (2019, im Netz kostenfrei verfügbar), Andreas Völzmann empfiehlt Hajo Seppelt: Feinde des Sports (s.o.). Wir empfehlen zur Informations-Aktualisierung zudem die Sportseiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und vor allem der Süddeutschen Zeitung (zum Teil im Netz verfügbar) – Sportjournalismus jenseits jeglicher Oberfläche!
 
Apropos Sportjournalismus. Wer weiß – vielleicht hat ja ein angehender Abiturient, eine Abiturientin Blut geleckt …
 
Beitrag & Fotos: Frank Selig
19. Februar 2020