Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

 
“Was die sich trauen!”
Marie Gross
 
Mit zunehmendem Alter nehmen Demut und Bescheidenheit einen immer größeren Part im Leben eines Menschen ein. Die Wünsche werden kleiner, die Ansprüche realitätsnäher. Nicht so bei Andreas Zander. Seinen Jubiläums-Geburtstag im Visier formulierte er beim alljährlichen Spanferkelessen mit seinem Leistungskurs Musik, Abi-Jahrgang 2012, gänzlich unbescheiden sein Anliegen: “Zu meinem Sechzigsten wünsche ich mir von euch eine Wiederaufführung des Musicals ‘Linie 1’.” Das war 2018 im August. Noch am gleichen Abend war der terminliche Rahmen abgesteckt. Nicht so einfach, wenn sich in der Truppe inzwischen auch Tourneekünstler und Neuschwaben befinden. Damit hatte er eigentlich nicht gerechnet. Ein Jahr ist eine lange Zeit, da kann viel passieren. Aber – siehe unten.
 
Bandtreffen folgten, organisiert von Felix Wolff, bei denen die Songs einstudiert wurden; Musiker, später auch Schauspieler aus jüngeren Jahrgängen glichen die Abgänge aus. Alle trafen gut vorbereitet zur Probenwoche im August in der Stein-Aula ein. Das Dekor wurde bewusst spartanisch gehalten, das Stück verlangt keine aufwändigen Bühnenaufbauten. Einige Requisiten hatten in den Lagerräumen der Schule Patina angelegt, waren aber noch gut einsetzbar; einige Requisiten mit Verfallsdatum wurden frisch und ausreichend beschafft. Eine Probenwoche, das war knapp, aber der gemeinsame Wille verlieh allen Teilnehmern Flügel. Es gab nur ein Problem …
 
… den SOUND! “Linie 1” lebt vor allem vom Klangteppich und den pointierten Songs. Ein Klangbrei über Verstärker, Mischpult und normale Aula-Beschallung hätte das ganze Vorhaben gegen die Wand fahren lassen. So “kam es” im Sommer 2018 im Spandauer Brauhaus an der Havel zu einem Treffen zwischen Andreas Zander und Tobias Unger. Tobias hatte von der Idee gehört und wollte nur eins: Dabeisein!
“Für mich stand sofort fest: Bei dem Projekt bin ich gerne dabei. Außerdem war für mich auch klar, dass dieses Musical technisch gesehen neue Maßstäbe setzen soll, da mir mit Abschluss der Ausbildung zum Veranstaltungstechniker mehr Möglichkeiten offenstanden. Deshalb füllte die Planung für das Musical ein Jahr lang meine Freizeit und war das Highlight, auf das ich seit dem Treffen mit Andreas Monate lang hinfieberte.”
 
Das hört sich einfach und leicht an. Wer indes die immensen Technik-Aufbauten, die störungsfreien Funkstrecken und dem beeindruckenden Klangerlebnis in der Aula Auge und Ohr lieh, der wusste: Das war weit weg von einfach und leicht. Ebenso schwergewichtig stellten sich die Vorbereitungen der Band und des Darsteller-Ensembles dar. Felix Wolff:
 
“Um alles so rauszuholen, wie es geschehen ist, waren Motivation, Schweiß, Mühe und Fleiß von Nöten. All das konnte aufgebracht werden. Natürlich war es auch wichtig, dass einer die ganze Sache am Ende in der Hand hielt, da bei nur demokratischer Entscheidungsgewalt alles aus den Fugen geraten wäre. Wir haben trotzdem versucht durch gutes Argumentieren und viele gemeinsame Sprechrunden alles möglichst demokratisch zu entscheiden. Das Wichtigste, was für ein solches Projekt von Nöten ist, war allerdings der Zusammenhalt innerhalb der Gruppe. Dieser Zusammenhalt war schon allein dadurch da, dass Andreas uns alle im Leistungskurs hatte. Diese Zeit hat jeden einzelnen Teilnehmer so geprägt, dass jeder durch seinen individuellen persönlichen Einsatz versucht hat, Andreas seinen Traum, dieses Projekt noch einmal auf die Bühne zu bringen, ermöglichen wollte … abgesehen davon, dass spätestens nach dem ersten Probentag alle aus eigener Motivation total dabei waren.”
 
Vom 23. bis 25. August fuhr die “Linie 1” schließlich durch drei ausverkaufte Veranstaltungen in der Stein-Aula und an keinem Abend, zu keinem Moment hatte man das Gefühl, der Darstellung einer Laien-Spieltruppe beizuwohnen. Die Band zeigte sich auf den Punkt vorbereitet, die Rhythmus-Sektion Bass und Schlagzeug verschmolz mit den Darstellern zu einer Einheit, das Saxofon drang tief aus den Seelen der Figuren in den Zuschauerraum. Die von Leo Siegmund zentral gesteuerte Lichtsetzung unterstrich nuanciert und treffsicher das Geschehen; das zeigen in Ansätzen die Bilder. Nicht dokumentieren lässt sich hier das fantastische Klangerlebnis! Ja, und mittlerweile sind die – meisten – Protagonisten nicht mehr Abiturienten und 18, sondern reife 25 – Lebenserfahrung, die sich auch in den dargestellten Figuren niederschlägt. Was am meisten beeindruckte, war die von unbändiger Spielfreude getragene Ensemble-Leistung, weswegen hier kein Darsteller hervorgehoben werden soll. Ach so: Schöne Stimmen haben die “großen Kleinen” auch.
 
Wer’s nicht miterleben konnte … hat etwas versäumt, aber vielleicht nichts verpasst. Das Angebot einer Aufführung im Sommer 2020 in der Freilichtbühne der Zitadelle steht. Sofern sich ein entsprechendes Proben-Zeitfenster öffnen lässt, wird wohl ein gemeinsames “JA” dazu ertönen.
 
Ach – der Autor dieser Zeilen hätte da übrigens einen “bescheidenen” Geburtstagswunsch – aber zuvor …
 
 

Linie 1 – Eine Nacherzählung in Bildern

 
 

 

 

 
 
Sechs Uhr vierzehn
Bahnhof Zoo
Der Zug rollt ein
Die Bremsen schrein
Der Tag ist taufrisch
Der Himmel blau mit Sahne
Die Sonne 
piekst mir ins Gesicht
Ich kneif mich ganz fest
In den Arm:
ICH BIN IN BERLIN

 

 

 

 

 
 
Meine Flasche.
Dit is nich deine Flasche.
Ick habe deine Flasche nicht anjerührt.
Du hast se ausjesoffen!
 

 

 
 
Mein Freund, der ist so’n Bulle …
 

 

 

 

 
Haste mal ‘ne Mark?
 
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
Was ist ein Sonnenstrahl gegen das Mondlicht?
Ein Arschtritt gegen dein Gesicht …
Tag ich hasse dich
Ich verfluche dich
 

 

 

 

 

 
Wo geht es denn hier nach Kreuzberg?
 

 

 

 

 
Die Tür schnappt zu
Der Zug fährt ab
Zurückbleiben
Mal wieder zu knapp
Es war immer so
Zurückbleiben
Und warten
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
Wann kommt denn jetzt endlich der Bahnhof Kreuzberg?
 

 

 

 

 

 
Du sitzt mir gegenüber
Und schaust an mir vorbei
Ich seh dich jeden Morgen
Und manchmal auch um drei
Du bist’n Stückchen U-Bahn
Du bist mir scheißegal
Und bleibst du einmal weg, ich glaub,
ich merk’s nicht mal

 

 

 

 

 
Wie schade!
Wie schade!
 

 

 

 

 

 

 

 

 
Hast du ein Glück, dass du mich getroffen hast!
 

 

 

 

 

 

 

 

 
Denn wenn die dicke fette Liebe erwacht
Werden Pläne für die Zukunft gemacht
Denn Liebe heißt in Wirklichkeit
Schrankwand, Wüstenrot,
Rentenbescheid!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
Wollt ihr zur Schule?
 

 

 

 

 
Meine Mutti hat gesagt …
 

 

 

 

 

 

 

 

 
Andreas, jeh weg von die Tante!
 

 
Mir reicht et jetzt.
Ick habe heute meinen freien Tag.
Und den lass ick mir nich versaun.
 

 

 

 

 

 
Hey du – ey du
Hör mir mal zu – hör mir mal zu
Ick will dir ma wat erzählen – von mir
Det hab ick noch nie jemacht – außer bei dir
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
 
Bitte hören Sie mir zu, meine Freunde.
Wir alle wissen, dass unsere Welt von Idioten regiert wird.
 

 

 

 

 

 

 
Ich … ähm … hm hm … Ich … ähm … HORST
Entschuldigen Sie, wenn ich Sie für einen Moment störe
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
Komm, wir singen det alte Lied nochmal …
Berlin, du einzige Stadt auf der Welt
Wo in alle Richtungen Osten ist
Die Sonne also nie untergeht
Sondern nur auf
 

 

 

 

 

 
Darf ich dich zum Kaffee einladen?
 

 

 

 
Es ist herrlich zu leben, mein Kind!
Es ist herrlich zu leben in Berlin!
 

 

 

 
Das ist Chantal –
Beine wie die Dietrich
 

 

 

 

 
Hilfe – Mörder – Überfall!
 

 

 
Was wollen Sie denn nur hier?
 

 
Ich hasse diese Scheiß Restaurants
… Kempinski-Grill …
… Sie haben doch ne Macke –
Essen Sie lieber mal ne richtige Currywurst!
 

 

 

 

 
Die Fahrt nach Kreuzberg.
A journey to Kreuzberg.
SO 36.
SO thirty-six.
Da brennt nicht nur die Luft, da haut’s dich um.
There burns the air, there are you from the Sockel.
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
Wittenbergplatz – Nollendorfplatz – Kurfürstenstraße – Gleisdreieck …
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
Wir sind die Diademe
Der Reichshauptstadt Berlin
Die Butterkrem der Creme
Die Queens der Tauentzien

 

 

 
Wir Wilmersdorfer Witwen
Verteidigen Berlin
Sonst wär’n wir längst schon russisch
Chaotisch und grün
 

 

 

 

 

 
Du hast dich überhaupt nicht verändert.
Du auch nicht.

Bist du verheiratet ..?
Ja … glücklich … jaja …
Ich auch … glücklich …
 

 

 

 

 

 

 

 

 
Find ick scheiße von dir!
 

 

 

 
Verdammt noch mal …
… und immer zur Hauptverkehrszeit – wie wenn se Publikum brauchen fürn Tod.
 

 

 
Mein Abschied hätte mehr Stil, Baby.
 

 

 

 

 
Und die Spießer freuen sich – wieder ener weniger, wa!
 

 

 

 
Gott segne unser dickes Fell!
 

 

 

 
Sag mal, hast du was?
Ich habe nichts.
 

 

 
Na, gefällt sie dir?
 

 

 
 
Jeder Mensch hat doch Träume …
Hab’ wieder Mut zum Träumen!
 

 

 

 

 

 

 

 
Die Fahrausweise, bitte!
 

 

 

 

 

 
Hi!
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
Ho – ick werd’ varrückt … Sach mal Keule, dit Bier is ne Menge.
 

 

 

 

 

 

 

 
Komm, komm – ich kann nicht mehr warten.
 

 

 

 
Bitte halt mich fest …
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
Beitrag: Frank Selig
Fotos: Vincent Dujmić, Patrick Neumann & Frank Selig
07. September 2019; ergänzt am 09. September 2019, 06:34 h